„Eine Schande im reichen Bundesland Bayern“

Die dringende Bitte nach besserer finanzieller und personeller Ausstattung für Frauenhäuser nach München zu trag, gab Frauenhausleiterin Britta Richl (Mitte) uns mit auf den Weg.

15. März 2018

Nur zehn Prozent aller Kosten für ein Frauenhaus übernimmt der Staat. Den Rest muss der Träger selbst tragen, über Spenden oder kommunale Zuschüsse finanzieren. „Das ist in einem so reichen Land wie Bayern einfach nur eine Schande!“ Dieser Aussage meiner Landtagskollegin Simone Strohmayr, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, kann ich mich nur anschließen. Die mangelhafte Finanzierung ist das eine. Hinzu kommt noch: Jede zweite Frau in Bayern, die im Frauenhaus Schutz sucht, muss abgewiesen werden!

Diese ernüchternde Feststellung habe ich mir nicht ausgedacht. Sie ist das Ergebnis einer Studie des Instituts für empirische Soziologie der Universität-Erlangen 2016. In Auftrag gegeben hat diese Untersuchung das bayerische Sozialministerium. Aus den Zahlen allerdings hat der Freistaat bisher keine Konsequenz daraus gezogen. „Obwohl man den Missstand jetzt Schwarz auf Weiß nachlesen kann, hat sich nichts geändert, reagiert die Staatsregierung nicht auf unsere Anträge auf den Ausbau von Plätzen“, berichtete Strohmayr bei unserem gemeinsamen Besuch im AWO Frauenhaus für die Region Würzburg.

Wohnraummangel potenziert die Probleme

Brita Richl, die Leiterin des Würzburger AWO Hauses, verdeutliche uns wie sich die Probleme für die rund 40 Frauenhäuser in Bayern derzeit potenzieren. Der ohnehin vorhandene Mangel an Plätzen für die von Gewalt betroffenen Frauen und ihre Kinder wird noch verstärkt durch den Mangel an Sozialwohnungen. Denn der hat zur Folge, dass die meisten Frauen mangels Alternativen deutlich länger im Frauenhaus bleiben müssen.

Besuch und Gespräch im AWO Frauenhaus
Die dringende Bitte nach besserer finanzieller und personeller Ausstattung für Frauenhäuser nach München zu tragen, gab Frauenhausleiterin Britta Richl (Zweite von rechts) Simone Strohmayr (rechts) und mir mit auf den Weg.

Im AWO Frauenhaus ist die Anzahl der vorhandenen Plätz nicht das einzige Problem. Ursprünglich ausgelegt für sechs Frauen und sechs Kinder, leben derzeit zwölf, also doppelt so viele Kinder in den Räumen als vorgesehen. In Zimmern und Gemeinschaftsräumen, die sowieso schon eher klein und seit 1996 unverändert geblieben sind und damit heutigen Ansprüchen nur unzureichend genügen. Eine Förderung der Investitionskosten für Frauenhäuser aber ist nicht vorgesehen. Grundsätzlich wäre die AWO als Träger bereit nachzubessern, die Frage ist nur wie: „Im letzten Jahr haben wir als Träger bereits ein Defizit von 25.000 Euro getragen“, erläuterte uns AWO Bezirksgeschäftsführer Martin Ulses, welche Herausforderung das für den Wohlfahrtsverband ist.

Rückzugsräume dringend nötig

Wie beengt die Raumsituation tatsächlich ist, verdeutlichte uns Richl bei einer kleinen Führung. Betroffen sahen wir selbst, wie es aussieht: Die oftmals schwer traumatisierten Frauen haben keine Rückzugsräume, ebenso wenig wie die Kinder. Das Personal hat kaum Möglichkeiten, in Ruhe Einzelgespräche zu führen, Plätze für Mütter mit halbwüchsigen Söhnen gibt es gar nicht. „Wir müssen von den Betroffenen in solchen Fällen verlangen, das Kind, getrennt von sich, anderswo unterzubringen“, erzählte die Leiterin. Verständlicherweise ist die Bereitschaft der emotional hoch belasteten Frauen dazu gering. Ebenso wenig kann die AWO Frauen aufnehmen, die auf barrierefreien Zugang angewiesen sind.

Doch nicht nur Räume und Geld für die Sanierung fehlen. Wir, die bayerische SPD forderten 2016 die Staatsregierung auf, basierend auf den dramatischen Ergebnissen der Studie, Frauenhäuser personell deutlich besser auszustatten, ebenso wie das zu Prävention und Schutz gehörende Hilfenetzwerk. Denn weder Zeit für Leitungsaufgaben noch die hauswirtschaftliche Betreuung (der Hausgemeinschaft), Öffentlichkeitsarbeit, oder Verwaltung sind im Personalplan eingerechnet. Auch bei der Unterstützung und Begleitung der Kinder, deren Mütter gewalttätigen Partnern ausgesetzt sind, sowie an Therapieplätzen mangelt es - im Frauenhaus wie im System der Kinder- und Jugendhilfe.

Situation spitzt sich weiter zu

Beinahe zwei Jahre später ist nichts passiert und Richl sieht die Grenze des Erträglichen mehr und mehr erreicht. Denn, sagt sie, die Situation spitzt sich zu. Das Klientel der Frauenhäuser verändere sich, der Arbeitsaufwand - auch in der unverzichtbaren Nachbetreuung – nehme stetig zu. Die betreuten Frauen sind immer häufiger extrem jung, haben wenig Bildung, aber viele Kinder. Manche Mutter wird auch übers Jugendamt vermittelt, weil das Kindeswohl akut gefährdet ist. Eine andere, größer werdende Gruppe sind Frauen mit Migrationshintergrund und Sprachproblemen, meist ohne soziales Netzwerk oder familiäre Unterstützung. Hinzu kommen ältere Frauen mit sehr langen Gewalterfahrungen – „kürzlich haben wir erst ist eine 70-Jährige betreut“, erzählt die Fachfrau.

Schutz für Frauen und Kinder je nach Haushaltslage?

Unter diesen Bedingungen haben Richl und ihr Team tagtäglich alle Hände voll zu tun, um irgendwie den Alltag zu meistern. Doch, weil eine verlässliche Grundfinanzierung fehlt, müssen sie daneben permanent um Spenden werben, um den Fortbestand zu sichern. Dies und die tägliche Erfahrung, verzweifelte, hilfesuchende Frauen vertrösten oder gar wegschicken zu müssen, belasten das Personal dauerhaft.

Keine Lösung sei, da bin ich mir mit meiner Landtagskollegin einig, dass die bayerische Staatsregierung mit dem Hinweis auf die kommunale Daseinsvorsorge den Schutz für die betroffenen Frauen und Kinder allein den Kommunen überlässt. Damit macht sie die Existenz der lebensnotwendigen Frauenhäuser abhängig von der kommunalen Haushaltssituation.

Zahlen und Fakten

  • bis zu 2000 Frauen werden im Freistaat jährlich abgewiesen
  • um 35 Prozent müssten die Kapazitäten laut der Studie aufgestockt werden
  • rund 25 000 Euro Staatsgelder erhält ein Frauenhaus durchschnittlich im Jahr
  • nur drei Prozent betroffener Frauen suchen Hilfe in Frauenhäusern oder Fachberatungsstellen
  • rund 430 Schutzplätze für Frauen und 500 Plätze für Kinder gibt es in bayerischen Frauenhäusern
  • sieben Monate bleibt eine Frau durchschnittlich im Frauenhaus

Teilen